Streit und Mitgliederschwund – Meuterei bei den Piraten

Stand: 22.09.2014
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Der Piratenpartei laufen die Mitglieder in Scharen davon. Mit Anke Domscheit-Berg hat eine weitere Führungsfigur das Handtuch geworfen, in Bremen trat ein Großteil des Landesverbandes aus der Partei aus. Sind die Netzaktivisten am Ende?

Von Michael Stürzenhofecker, tagesschau.de

Der Piratenpartei droht die politische Bedeutungslosigkeit. Am Sonntag hat die Vorzeige-Piratin Anke Domscheit-Berg ihren Parteiaustritt bekannt gegeben und in einem Blogeintrag mit ihren ehemaligen Kollegen abgerechnet. Die Partei habe ein Problem mit innerparteilicher Demokratie, arbeite ineffizient, zudem registriere sie einen erstarkenden Seximus und rechte Tendenzen. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Auf Twitter ergoss sich ein Schwall übelster Beschimpfungen über sie, von „irrer Feministin“, „Egomanin“ und „Bekloppten“ war die Rede. anke domscheit-berg @anked Ich RTe diesen bullshit auch, um zu zeigen, was man so an feedback bekommt… Und diesen tenor gab es die ganze zeit, 2.5 jahre. 22.09.2014 09:03 Uhr via Twitter Bereits in den Tagen und Wochen davor verließen zahlreiche profilierte Piraten die Partei, darunter der ehemalige Berliner Landeschef Christopher Lauer. Doch nicht nur die Parteiprominenz kehrt den Piraten den Rücken, seit fast zwei Jahren sinken die Mitgliederzahlen. 35.000 Piraten zählte die Partei Ende 2012, derzeit sind es noch rund 27.000, nur knapp 10.000 entrichten überhaupt ihren Mitgliedsbeitrag. Am Wochenende erklärte ein großer Teil des Bremer Landesverbandes nach internen Querelen seinen Austritt. Piratenchef bleibt gelassen Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass die Partei zweistellige Umfragewerte erzielte. Die Piraten schafften den Einzug in vier Landesparlamente, ein Einzug in den Bundestag galt Ende 2011 fast als sicher. Nach den Enthüllungen um die NSA beherrschten die Themen Bürgerrechte und Datenschutz im Internet die Schlagzeilen. Von den Piraten war dazu allerdings erstaunlich wenig zu hören. Den meisten Mitgliedern waren parteiinterne Führungsfiguren und allzu straffe Organisation immer suspekt. Vorstände wurden schnell wieder abgewählt oder sie kapitulierten von selbst, professionelle Strukturen wurden bewusst verhindert. Eine zeitgemäße Pressearbeit war damit faktisch unmöglich, die Partei wurde nicht gehört, obwohl es um ihre ureigensten Themen ging. Die Mitglieder ergingen sich in den Sozialen Netzwerken in Grundsatzdiskussionen, die nicht selten in Beschimpfungen ausarteten, die Bewegung erstarrte. Zuletzt erreichten die Piraten in Umfragen nicht einmal mehr ein Prozent. Anatol Stefanowitsch @astefanowitsch Ihr werdet euch noch wünschen, die #Piraten hätten Karnickel gezüchtet. Dann hätten wir jetzt wenigstens Karnickel. 20.09.2014 22:54 Uhr via Twitter Piratenparteichef Stefan Körner nimmt die anhaltende Austrittswelle eher gelassen. Die Auseinandersetzungen in der Partei sieht er als Flügelkampf zwischen eher linken Anhängern und den sogenannten Sozialliberalen. Die Auseinandersetzung zweier Strömungen sei für Parteien ganz normal, „es würde uns natürlich gut tun, wenn das nicht öffentlich geschehe, denn das kostet Vertrauen.“ Die Austritte der Berliner hätten sich eben „besonders laut“ vollzogen. Domscheit-Berg hätte durch ihre exponierte Stellung eben auch besonders viel Kritik einstecken müssen, was aber zur politischen Arbeit gehöre und ihm genauso passiere.
Niedergang der Piraten nachtmagazin, 00:15 Uhr, 23.09.2014, Iris Marx, RBB  :   „Der Crash war absehbar“

Für den Politikwissenschaftler Christoph Bieber haben die Piraten die anderen Parteien wachgerüttelt. Ohne die Gründung der Piraten hätte Netzpolitik niemals diese Relevanz erhalten. Die Möglichkeit einer Auflösung der Partei habe allerdings immer bestanden, die Piraten seien eine „Partei wider Willen“. Eine Nische für die Piraten würde weiter bestehen, ist Bieber überzeugt, „die Partei ist noch nicht am Ende – aber sie nähert sich ihm konsequent“. Der netzpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz sieht das ähnlich: „Nach der Austrittswelle vom Wochenende kann man sagen, dass eine Abwicklung der Partei stattfindet. Der Crash war absehbar, dass es so schnell geht, hätte ich nicht gedacht.“ Als Grüner wisse er nur zu gut, wie viel Kraft Basisdemokratie kosten kann, sagt er mit Blick auf die quälenden Auseinandersetzungen und Grundsatzdiskussionen bei den Piraten. Konstantin v. Notz @KonstantinNotz Die Piratenpartei hat sich in den letzten Tagen final selbst abgewickelt. Danke für alle Unterstützung gegen die #VDS und #Netzsperren 21.09.2014 18:37 Uhr via Twitter Mitglieder denken über Neugründung nach Für Dorothee Bär (CSU), Staatssekretärin im für Netzpolitik verantwortlichen Verkehrsministerium, gibt es noch einen weiteren Grund für die Probleme bei den Piraten: Die Partei täte sich heute auch thematisch schwer, „weil sie ihr vormals angebliches Alleinstellungsmerkmal verloren hat“ – die Netzpolitik. Die anderen Parteien hätten das Thema verschlafen, seien nun allerdings wachgerüttelt worden. Dieser These würde Piraten-Chef Körner gewiss widersprechen. Ob er und der Vorstand die Partei aber zusammenhalten können, ist keineswegs sicher. Die erfolgreichen Berliner Piraten denken laut über eine Kooperation mit ausgetretenen Mitgliedern nach, auch von Neugründung war schon die Rede. Christopher Lauer @Schmidtlepp Das Hauptproblem mit Parteineugründungen ist, dass man nur einmal so naiv ist sowas zu machen.

21.09.2014 21:20 Uhr via Twitter Der ehemalige Vorstand Klaus Peukert sieht nach Lauers Austritt endgültig den „Damm gebrochen, der nur noch von Spucke und Bindfäden zusammengehalten wurde.“ Die politische Irrelevanz der Piraten habe sich bereits bei den vergangenen Wahlen gezeigt, eine Neugründung hält er aber ebenso für aussichtslos. Domscheit-Berg jedenfalls will sich zu ihrem Austritt nicht äußern, stellt jedoch klar, dass sie mit netzpolitischen Themen weitermacht – allerdings ohne Partei.